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Wenn der Arzt wahrscheinlich recht hat, mein Bauchgefühl mir aber etwas anderes sagt.

Artikel über das Miteinander von evidenzbasierter Medizin und Patientenkompetenz

Seit Anfang der 1990er Jahre wird zunehmend für die sogenannte evidenzbasierte Medizin plädiert. Diese fordert eine strenge Ausrichtung an wissenschaftlichen Fakten und abgestimmten Richtlinien. Zur gleichen Zeit hat eine andere Bewegung Fahrt aufgenommen: Hier geht es um Patientenkompetenz (persönliche Ziele und Vorstellungen) und gemeinsame Entscheidungsfindung. Wie passen diese Entwicklungsrichtungen zusammen? Und schliesst die eine die andere aus?

26.09.2023 | Lesezeit: 5 Min.
Jérôme Racine

Evidenzbasierte MedizinDie evidenzbasierte Medizin setzt den gewissenhaften, ausdrücklichen und vernünftigen Gebrauch der gegenwärtig besten externen, wissenschaftlichen Nachweise für Entscheidungen in der medizinischen Versorgung von Patienten und Patientinnen voraus.

Traditionellerweise basierten ärztliche Entscheidungen auf dem, was Mediziner und Medizinerinnen im Studium und in der Ausbildung erlernten sowie auf deren persönlicher Berufserfahrung. Dies führte oftmals dazu, dass die gleiche Krankheit sehr unterschiedlich angegangen wurde, je nachdem, welche Person diese behandelte. Und dies oft mit sehr unterschiedlichen Ergebnissen.

Daneben ging mancher von ungeprüften Vermutungen aus: So schrieb der Kinderarzt Benjamin Spock 1954 ein Buch, das in 39 Sprachen übersetzt und über 50 Millionen Mal verkauft wurde. Er empfahl, dass Babys auf dem Bauch schlafen sollten. Falls sie sich während der Nacht übergeben sollten, würden sie so das eventuell Erbrochene nicht inhalieren beziehungsweise nicht daran ersticken. Fundierte Studien, die in den 1970-er Jahren durchgeführt wurden, zeigten dann, dass diese Empfehlung falsch war und sogar zu ca. 50'000 Todesfällen geführt hatte. I

Der Ruf, bei der ärztlichen Entscheidungsfindung die Ergebnisse aktueller wissenschaftlicher Forschung (die sog. Evidenz) zu berücksichtigen, wurde deshalb immer lauter.

Bild: Evidenzbasierte Medizin beruht auf den Ergebnissen aktueller wissenschaftlicher Forschung

Zur Evidenz zählt man heute die Ergebnisse stringent durchgeführter klinischen Studien, die von Expertengremien II oder ärztlichen Fachgesellschaften III erarbeiteten Therapierichtlinien, die Empfehlungen von anerkannten Organisationen des Gesundheitswesens IV und vieles mehr.

 

Patientenkompetenz

Der etwa zur gleichen Zeit entstandene Ansatz der Patientenkompetenz fordert, dass persönliche Auffassungen, Erfahrungen, Präferenzen und Ziele von Patienten und Patientinnen unbedingt berücksichtigt werden sollten, wenn es darum geht, medizinische Entscheidungen zu treffen. (Siehe dazu im Wissensbereich auch den Artikel "Das unterschätzte Potential der Patientenkompetenz".

Um nur ein Beispiel zu nennen: Menschen bewerten die Risiken von Nebenwirkungen durchaus unterschiedlich. Eine Therapie, die von einer Person trotz Nebenwirkungen erwünscht ist, kann für eine andere Person aufgrund der gleichen Nebenwirkungen vollkommen  inakzeptabel erscheinen.

Die besten Entscheidungen entstehen, wenn sie wissenschaftlich fundiert sind (Fachkompetenz) und gleichzeitig berücksichtigen, was der Patient oder die Patientin über sich selbst weiss (Patientenkompetenz).

In diesem Kontext entsteht also ein Dilemma: Können Patienten und Patientinnen von ihrem Arzt oder ihrer Ärztin Massnahmen erwarten, die zwar – auf Grund der Berücksichtigung ihrer persönlichen Auffassungen, Erfahrungen und Ziele – stimmig sind, jedoch nicht mit der wissenschaftlichen Evidenz in Einklang stehen?

 

Die Grenzen der Evidenz

Natürlich sind evidenz-basierte Entscheidungen wichtig und generell richtig. Zu berücksichtigen ist hierbei jedoch, dass wissenschaftliche Evidenz aus folgenden Gründen relativ sein kann:

  • Evidenz drückt sich oftmals in Wahrscheinlichkeit aus – zum Beispiel: „Die schwere Nebenwirkung X tritt bei 40% der Patienten und Patientinnen auf“. Diese Aussage stellt für ein bestimmtes Individuum jedoch lediglich eine begrenzte Orientierungshilfe dar.
  • Evidenz ist bei weitem nicht für alle medizinischen Fragestellungen vorhanden.
  • Evidenz widerspiegelt den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft. Neue Erkenntnisse stellen immer wieder das bisherige Wissen in Frage. Neue klinische Studien, die mit grösseren Patientenzahlen durchgeführt wurden, kommen zu anderen Schlussfolgerungen als die ersten, früheren Tests. Im Licht neuerer Erfahrungen werden Richtlinien geändert oder ergänzt.

 

 

Das eine schliesst das andere nicht aus v

Um das oben erwähnte Dilemma zu lösen, empfiehlt sich die folgende Vorgehensweise:

1

Fragen Sie als Patient oder Patientin ihren Arzt oder ihre Ärztin, inwiefern seine/ihre Empfehlung die zur Verfügung stehende wissenschaftliche Evidenz widerspiegelt.

2

Setzen Sie sich gegebenenfalls mit der wissenschaftlichen Evidenz auseinander. Die Ergebnisse von klinischen Studien oder die Richtlinien von Expertengremien sind zwar oftmals in einer Fachsprache verfasst, die für Laien unverständlich ist. Sie können jedoch Ihren Arzt oder Ihre Ärztin bitten, den Inhalt solcher Publikationen für Sie in verständlicher Sprache zusammenzufassen.

3

Vergleichen Sie die wissenschaftliche Evidenz einerseits und Ihre persönlichen Auffassungen, Erfahrungen, Präferenzen und Ziele andererseits.

4

Im Fall einer Diskrepanz, wiegen Sie sorgfältig mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin das Für und Wider der verschiedenen Optionen ab.

5

Versuchen Sie, sich auf Massnahmen zu einigen, mit denen sich beide (Sie und Ihr Arzt bzw. Ihre Ärztin) wohlfühlen.

6

Falls Sie sich mit Ihrem Arzt oder Ihrer Ärztin nicht einigen können, holen Sie eventuell eine Zweitmeinung ein.

 

Sources
Quellen

I Evidence Based Medicine and Shared Decision Making: The Challenge of getting both evidence and preferences into health care; Alexandra Barratt; Patient Education and Counseling, 73 (2008) 407-412
II Siehe z. B. Cochrane Schweiz
III Siehe die FMH-Online-Plattform «Guidelines Schweiz»
IV Siehe z. B. die Medizin-ethische Richtlinien der Akademien der Wissenschaften Schweiz (SAMW) oder die Empfehlung der Bewegung "Choosing wisely"
V Integrating Patient Values into Evidence-Based Practice: Effective Communication for Shared Decision-Making; Vranceanu, A.-M. et al; Hand Clin 25 (2009) 83-96
Bringing shared decision making and evidence-based practice together; Tammy Hoffmann and Paul Glasziou; in: Share Decision Making in Health Care – Achieving evidence-based patient choice; Oxford University Press, Third Edition, 2016

 

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